Meine Großeltern Margarete & Erich Gelbhaar, Jahrgang 1903, waren Binnenschiffer aus Sachsen. Bis 1945 fuhren sie mit ihrem Schiff auf der Elbe bis nach Hamburg und auf den Flüssen und Wasserstraßen im Osten Deutschlands. Kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs bekamen sie ihr einziges Kind, Helga, meine Mutter. Als meine Mutter 1952 eingeschult werden mußte, gab es zwischen meinen Großeltern heftigen Streit. Mein Großvater hatte in der Einschätzung der politischen Sachlage seine alte Heimat bereits vollkommen aufgegeben und wollte auf keinen Fall, was seine Frau wollte: die Tochter in der Dorfschule von Merschwitz (bei Meissen) anmelden. Oma aber setzte sich über ihren Mann hinweg und fuhr mit ihrer Tochter von Bremen via Hannover mit dem Zug gen Osten. Aus Gründen, die ich nicht kenne, wurde ihr Zug aber vor der Grenzübergangsstelle Helmstedt gestoppt und nicht für die Einfahrt in die DDR zugelassen. Meine Großmutter hat daraufhin versucht, die Grenze zu Fuß zu passieren. Grenzsoldaten hinderten sie schließlich mit vorgehaltenen Gewehren daran und sie kehrte nach Bremen zurück.

Bald darauf führte eine Fracht unser Schiff MS Theodor Basedow 1 ins Ruhrgebiet. Meine Großeltern mieteten nun im Schatten der Schleuse Emmelsum eine kleine Wohnung in einem alten Bauernhaus und meldeten meine Mutter in der Volksschule von Spellen an. Opa reiste von nun an allein und die Familie war ausschließlich während der Schulferien beisammen an Bord des Schiffes. Margarete und ihre Tochter fassten schnell Fuß am Niederrhein und gewannen Bekannte und Freunde, vor allem in Spellen und Götterswickerhamm. Meine Großmutter hatte zudem einen weiteren Vorteil bei der Integration in der neuen Heimat: eine Schulfreundin war bereits in den 1930er Jahren der Liebe wegen nach Hamborn-Marxloh gezogen und der Kontakt zu ihr war lebendig geblieben.

Erich Gelbhaar gründete in der neuen Heimat immerhin den Schifferverein "Lippe-Seiten-Kanal", der seinen Stammtisch in der Gaststätte Zum Krug in Emmelsum hatte, und stellte gemeinsam mit seinen Vereinskameraden unweit des heutigen Hafens Emmelsum einen prächtigen Mast auf, zu dessen Einweihung er ein nicht gerade unpathetisches Gedicht verfasste*.

1964 lernte meine Mutter während eines Sommerurlaubs auf Sylt meinen Vater kennen. Er kam mit nach Emmelsum, arbeitete für eine Weile in der Bäckerei Zumkley in Friedrichsfeld, doch weil er allzu häufig in der Kneipe an der B8 saß, die einmal das erste Friedrichsfelder Postamt gewesen war, trennte sich meine Mutter wieder von ihm, obwohl sie bereits mit mir schwanger war. Im Spätherbst 1964 zog Familie Gelbhaar in eine neue Wohnung auf der Loefflerstraße in Friedrichsfeld.

Im Sommer 1965 wurde ich geboren, im Jahr darauf in der evgl. Kirche in Friedrichsfeld getauft und 1971 in der Parkschule Friedrchsfeld eingeschult. 1968 wurde mein Großvater Frührentner, arbeitete jedoch immer noch nebenher als Lotse. 1972 nahm er mich auf einer Lotsenfahrt von Emmelsum nach Rotterdam sogar mit - mein wohl stärkstes Kindheitserlebnis**. 1973 starb er. Meine Großmutter folgte ihm erst 1994. Meine Mutter lebt heute als Rentnerin in Wesel, ich dagegen in Duisburg-Walsum.

Jens E. Gelbhaar 2014

** Was ich darüber hinaus in Friedrichsfeld als Kind erlebte, kann hier nachgelesen werden.
http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/33608823

MASTWEIHE
des Schiffervereins „Rhein-Lippe-Kanal“, Friedrichsfeld
am 1. Mai 1965


Liebe Kameraden der Schiffahrt!

Der erste Mai in diesem Jahr,
auch unser Tag es ist fürwahr.
Heute wird unser Schiffermast geweiht,
ein Denkmal ist es für alle Zeit.

Sein schöner Flaggenschmuck
entbietet uns das herzlichste Willkommen.
Mit Stolz und Freude
haben wir es aufgenommen.

Mit diesem Flaggenschmuck
wird auch manifestiert,
was der Schiffahrt sehr gebührt,
ihr Hanseatengeist ist, der daraus spricht:

„Schiffahrt tut not, das Leben nicht!“

Deshalb geloben wir heute aufs Neue:
Wir halten der Schiffahrt die Treue.

Und mit bester Kameradschaft man gut fährt,
denn Kameradschaft ist ein Ewigkeitswert.

Unseren Schiffahrtskaufleuten rufe ich zu:
„Gebet acht,
daß der königliche Kaufmann
stets hält die Wacht.“
Denn euch zur Ehre, uns zur Freude
und zum Nutzen der Schiffahrt
sei euer Wissen und bestes Können
mit diesem Ideal gepaart.

Und im Gedenken an unsere „Schifferalten“ –
jeder von ihnen war ein starker Pionier –
wollen wir alle stets guten Kurs halten,
denn sie schufen einst das Fahrwasser dafür.

Liebe Kameraden! Und auch in dieser Feierstunde
nehmet davon Kunde,
ob aus dem Osten, ob aus dem Westen,
kameradschaftliche Grüße widmen wir euch allen, die besten,
geschmückt mit den Gedanken an eueren Heimatfluß,
rufe ich euch zu:

Ihr Schiffsleute!
Von Oder, Elbe, Weser, Rhein,
von Weichsel, Donau, Neckar und Main,
von Warthe, Netze, Ems und Lahn,
von Elde, Havel, Spree und Saale,
herzlichst willkommen seid ihr alle,
auch von Schelde, Mosel, Maas und Saar,
euch allen wünscht „Glückhafte Fahrt“
der Schifferverein „Rhein-Lippe-Kanal“.

Erich Gelbhaar

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