Unsere Familie war ursprünglich in Essen zu Hause. Beide Großeltern waren dort Gastwirte. Mein Vater - Jahrgang 1898 - hatte in Essen Drogist gelernt. Nach der Hochzeit mit meiner Mutter 1922 übernehmen meine Eltern eine Drogerie in der Essener Stadtmitte. In der Drogerie war damals ein Lehrling namens Drost beschäftigt, dessen Vater für den späteren Weg der Familie nach Voerde 1927 die ausschlaggebende Rolle spielte.

Über die Jahre 1922 - 1927 sind in unserer Familie später nur wenige Details berichtet worden. Fest steht, dass die elterliche Drogerie in Essen über die Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg und die am 1. Januar 1924 mit der Einführung der Reichsmark erfolgte Währungsreform von meinen Eltern nicht gehalten werden konnte und dort aufgegeben wurde.

Nun kam der erwähnte Lehrling Drost ins Spiel. Dessen Vater war von Beruf Architekt und in dem für meine Eltern bis dahin völlig unbekannten Friedrichsfeld bei der 1920 gegründeten „Siedlungsgesellschaft für den Kreis Dinslaken" beschäftigt. Architekt Drost hatte im Rahmen dieser Tätigkeit Mitte der Zwanziger Jahre in Friedrichsfeld ein Reihenhaus in der Wilhelmstraße erworben und war aus Essen dorthin verzogen. Der Kontakt mit dem vormaligen Lehrherren seines Sohnes, mit meinem Vater Franz Göllmann, war aber erhalten geblieben.

Der 1926 begonnene Bau eines Mietwohnungsblocks mit Geschäftsräumen an der Westseite der heutigen Hindenburgstraße in Friedrichsfeld durch die Siedlungsgesellschaft stand 1927 kurz vor der Fertigstellung. Unsere Eltern bewarben sich auf Anraten von Herrn Drost bei der „Siedlung“ um die Vermietung einer der Wohnungen mit Geschäftsräumen für die Einrichtung einer Drogerie. Dem Vernehmen nach waren sie von Herr Drost auf die damalige Werbeaktion der Siedlungsgesellschaft aufmerksam gemacht worden, die unter dem Motto „Kommt nach Friedrichsfeld, dem aufstrebenden Ort am Niederrhein" in der Region um die Ansiedlung von Gewerbebetrieben warb, und davon sehr angetan.

Nach der Vermietungszusage der Gesellschaft übersiedelte die inzwischen fünfköpfige Familie Göllmann mit den Kindern Karl, Elisabeth und dem kurz vor dem Umzug geborenen Heinrich von Essen nach Friedrichsfeld. Unter dem 10. Juni 1927 wurde von der Gemeinde Voerde die „Drogenhandlung" an der Provinzialstraße in Friedrichsfeld genehmigt. (Später, 1929 und 1932, wurden die Geschwister Hermann und Gertrud dort geboren).

In den Jahren bis zu den Auswirkungen der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise war nach der 1924 erfolgten Einführung der Reichsmark die Konsolidierung der Wirtschaft auch in Friedrichsfeld spürbar.
Für die im alten Soldaten-Barackenlager untergebrachten - in der Folge des Ersten Weltkrieges Vertriebenen und Flüchtlinge aus den Provinzen Posen und Westpreußen sowie auch aus Elsass-Lothringen - hatte es vor allem an den Baustellen des Wesel-Datteln-Kanals und im nahe liegenden Ruhrgebiet Arbeitsplätze gegeben.

Die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft nahmen Anfang der 1930-er Jahre ein jähes Ende. Der größte Teil der Arbeitsplätze fiel weg, die Menschen wurden arbeitslos, Friedrichsfeld wurde zu einem sozialen Problembereich. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die kleinen gewerblichen Betriebe in Friedrichsfeld waren verheerend. Selbst die bis dahin starke Siedlungsgesellschaft geriet wegen der hohen Miet-, Zins- und Pachtrückstände der von ihr Betreuten Anfang der 30-er Jahre in eine finanzielle Schieflage und konnte 1936 nur durch das Eingreifen des Kreises Dinslaken vor dem Konkurs gerettet werden.

Soweit meine Ausführungen über den Weg unserer Familie in die Stadt Voerde. Die Drogerie meiner Eltern wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von meinem Bruder Heinrich übernommen und wird weitergeführt. 23. Juli 2010

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